Ein Segen für den Casual Gamer
Der sofortige Einstieg in das Spielgeschehen ist ein Segen
für den Casual Gamer, der eben nicht die dröge „Candy Crush Saga“ spielen
möchte. Die zwar nicht minder interessante Charaktererstellung bei einem
klassischen RPG ist nun mal zeitraubend und entfällt bei „The Witcher 3“. Als
Anfänger und Gelegenheitsspieler sollte man die leichteste Stufe wählen („Einfach
nur die Geschichte“). Der Schwierigkeitsgrad ist hierbei hoch genug für einige kräftezehrende
Bildschirmtode, vor allem, wenn noch kein Verständnis für das Skill- und
Stufensystem vorhanden ist. Höhere Schwierigkeitsgrade dürften zwar nicht
abschrecken, aber dürften den Gelegenheitsspieler auf lange Sicht nicht bei der
Stange halten, weil schon die Quests ohne die Kämpfe im Schnitt
herausfordernder werden und mehr Zeit benötigen.
Aus Sicht der Hardcore-Gamer sind Gelegenheitsspieler „Noobs“, die die
PC-übliche WASD-Steuerung nicht zuverlässig beherrschen. Zugegeben, auf mich
trifft das voll und ganz zu. Die falschen Tastendrücke führen unweigerlich dazu,
dass nach einem fehlgeschlagenen Ausweichmanöver eine ordentliche Portion
Lebensenergie verlorengeht, weil der Gegner den Protagonisten mit voller Wucht
erwischt hat. Das kann schnell fatale Folgen auch für die Motivation nach sich ziehen.
Kommen außer der Angriffstaste dann noch weitere Tasten hinzu, ist der Gelegenheitsspieler
derart hoffnungslos überfordert, dass er es genervt ins Regal zurücklegt, wo es
dann, wie bei Shelfware üblich, in Vergessenheit gerät und verstaubt. Der
Konsolenbesitzer ist prinzipbedingt ganz klar hier immer Vorteil.
Aber auch auf dem PC, für den es bei GOG.com eine DRM-freie Version gibt, ist
es dankenswerterweise möglich, das Keyboard links liegen zu lassen und „The
Witcher 3“ mit einem XBOX360-Controller zu spielen. Natürlich hat der
Controller mehr als die zwei Aktions-Buttons, die man beispielsweise von einem
Gameboy gewohnt ist. Deshalb wirkt die Steuerung für einen Casual Gamer zunächst
überladen und viel zu komplex. Daran ändert sich trotz des in die Story perfekt
eingebetteten Trainings nichts, in dem der Spieler die Grundsteuerung lernt. Welche
Aktionen mit welcher Taste zusätzlich ausgelöst werden können, wird erst im
Laufe des Spiels über entsprechende Hinweise verraten. Die anfängliche
Informationsflut wird demnach, so gut es eben geht, auf ein Minimum reduziert.
Die Steuerung ist die einzig nennenswerte Hürde
Meines Erachtens stellt die Steuerung bei „The Witchter 3“ tatsächlich
die einzig nennenswerte Hürde dar, die aber beispielsweise im Vergleich zu „God
Of War 3“ deutlich einprägsamer ist und sich natürlicher anfühlt. Glücklicherweise
haben die Entwickler bis auf wenige Ausnahmen, z.B. Absteigen vom Pferd mittels
Drücken und Halten der B-Taste, auf
Doppelbelegungen im gleichen Vorgang verzichtet. Spezielle Tastenkombination,
die zu einer Sequenz von Tastendrücke führen, gibt es zum Glück nicht. Jede Taste
hat in dem gleichen Vorgang also exakt die eine Bedeutung und ändert sich im
Spielverlauf nicht mehr. Ein Vorgang kann dabei Schwimmen, Laufen, Angriff und
Erkunden auf der Weltkarte sein. Bis auf die Controllerbelegung für die Weltkarte
führen die meisten Tasten die gleichen oder zumindest ganz ähnliche Aktionen aus.
Wer nach längerer Spielabstinenz wieder in die fabelhafte Welt zurückkehrt, der
kann und sollte vorher einen Blick in die Steueroptionen werfen. Dort lässt
sich auch ohne Kenntnis der kryptischen Tastennamen wie z.B. „LB“ und „R1“ die
Controller-Belegung anhand einer grafischen Abbildung des Controllers
nachschlagen. Wichtige Tasten und deren Funktionen werden im Spiel rechts unten
passend zum Geschehen eingeblendet, was eine willkommene Hilfe ist.
Die Quests und die Kämpfe sind außerordentlich gelegenheitsspielerfreundlich.
Die Quests erfordern nur einen überschaubaren Zeitaufwand. Für eine gute Stunde
und eins, zwei Quests kann man das Spiel also gut und gerne starten, sofern man
sich der Sogwirkung des Spiels wieder rechtzeitig entziehen kann. Mir passierte
es, dass ich schon zweimal „nur diese eine Quest“ vor mich hin gemurmelt habe,
und es aber dann doch deutlich mehr waren. Die Kämpfe sind im niedrigsten
Schwierigkeitsgrad fordernd und dauern nicht allzu lange. Wer sich also nicht
länger als 10 bis 15 Minuten im Kampf konzentrieren kann oder einfach nur
ungeduldig ist, wird sich über die schnellen Scharmützel freuen, sofern man
sich an der empfohlenen Mindestcharakterstufe hält.
Wer das Skill- und Stufenssystem verstanden hat, wird belohnt
Wer das Skill- und Stufensystem noch nicht verstanden hat
oder nicht verstehen wollte, der wird irgendwann dazu gezwungen, sich mit der
nicht allzu komplexen Materie zumindest in homöopathischen Dosen zu
beschäftigen. Das ist spätestens dann der Fall, wenn der Spieler bemerkt hat,
dass die Gegner im Laufe des Spieles auch im niedrigsten Schwierigkeitsgrad
immer schwerer werden oder am Ende gar nicht mehr besiegt werden können. Erfreulicherweise
läuft man bei „The Witcher 3“ nicht in eine Sackgasse. Das Spiel lässt sich
noch so drehen, dass ein Vorankommen wieder möglich ist. Wer hier nicht
aufgegeben hat, der wird belohnt: Plötzlich ergeben all die nichtssagenden und
nach langweiliger Statistik aussehenden Werte einen Sinn. Das gibt der
Motivation wahrlich einen neuen Schub, vor allem für den Typ Spieler, der Rollenspiele
gar nicht oder nie richtig gespielt hat. Am Ende weiß der Spieler, dass er
lieber die Quests angehen sollte, deren empfohlene Stufe kleiner oder gleich
der Stufe seines Charakters ist, dass er Waffen und Rüstungen sammeln sollte, um
Angriffs- und Verteidigungsstärke zu erhöhen oder zu verhökern. Er wird
feststellen, dass das Geld nicht nur für den Erwerb von Vollwertkost benötigt
wird, sondern auch, um die verschlissene Rüstung bei den Schmieden auf
Vordermann zu bringen oder sogar mit den richtigen Zutaten und dem richtigen
Schmied aufzurüsten. An Händler verkauft man nicht benötigte Waren oder schaut
sich dessen Sortiment an. Das Abschließen von Quests bringt deutlich mehr
Erfahrungspunkte als das Abschlachten von dahergelaufenen Monsterhorden. Der
Gewinn an Erfahrungspunkte wird für den gleichen Gegner niedriger, je höher die
eigene Charakterstufe ist. Sind die 1000 Erfahrungspunkte erreicht, erhöht sich
die Charakterstufe um eins und man erhält die Möglichkeit, eine neue Fähigkeit
auszuwählen oder eine vorhandene zu verbessern.
Der erfahrene Spieler wird sicherlich über die „überraschenden“ Spielelemente
schmunzeln, weil es doch das Grundgerüst eines jeden RPGs bildet. Aber: Selbst ich,
der schon seit einer gefühlter Ewigkeit kein Rollenspiel mehr gespielt hat,
habe hierdurch das Grundkonzept wieder aufgefrischt und schätzen gelernt. Sobald
ich „Witcher 3“ abgeschlossen habe, traue ich mich wieder an ältere Titel.
Mit vier Schwierigkeitsgraden ist „The Witcher 3“ auch ein Titel für die erfahreneren
Spieler, die sich auf die Jagd nach den Errungenschaften begeben wollen. Der
Schwierigkeitsgrad lässt sich nachträglich jederzeit ändern. Einen Multiplayermodus
gibt es nicht. Den vermisst ein Gelegenheitsspieler ohnehin nicht wirklich.
Fazit
Auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad ist „The Witcher 3“ ein erstklassiges Spiel
für Gelegenheitsspieler, die ein Spiel mit einer tiefgründigen Geschichte
spielen. Die einzelnen Quests dauern nie länger als etwa eine Stunde und laden
immer wieder für ein kurzes Spiel ein, sofern man sich auf die zunächst
überladen wirkende Steuerung einlässt. Die Belegung des Controllers kann aber jederzeit
in den Optionen nachgeschlagen werden und man beherrscht sie bald auch nach
einer längeren Spielabstinenz. Sich mit den rollenspieltypischen Eigenheiten schrittweise
zu befassen, ist erst dann notwendig, wenn ein Weiterkommen im Spiel auffallend
schwieriger wird. Aber das verstehen zu lernen, an welchen Rädchen zu drehen
ist, damit man den vorher unbesiegbaren Gegner erledigen kann, ist der
eigentliche Teil des Spielspaßes. Das Jahr ist noch nicht vorbei, aber für mich
ist „The Witcher 3“ schon jetzt ganz klar das Spiel des Jahres 2015.